quarta-feira, 30 de junho de 2010

Inglês e Ciência

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19. März 2010
Englisch allein als Wissenschaftssprache genügt nicht

Einst war Latein Lingua franca der intellektuellen Welt. Gegenwärtig wird darüber debattiert, ob sich Englisch dafür eignet. Doch Latein war eine künstliche Gelehrtensprache, während Englisch heute einem unkontrollierbaren Sprachwandel unterworfen ist. Kulturell unterschiedene Denkweisen vermag es nicht zu spiegeln.
Von Marco Baschera

Am 15. Januar erschien an dieser Stelle ein Artikel von Florian Coulmas unter dem Titel «Eine Lingua franca für die Wissenschaft ist eine Bereicherung». Für Coulmas zeigt sich in den Wissenschaften eine hegemoniale Macht, die sich gegenüber anderen durchzusetzen vermag. Wissenschaft ist Abbild ökonomischer, politischer und militärischer Verhältnisse, bei denen es zwei Verlierer gibt: den deutsch- und den französischsprachigen Kulturraum. Die Kritik, die aus diesen Kulturräumen an der weltweit verbreiteten Einsprachigkeit der Wissenschaften geübt wird, führt Coulmas auf ein ganz bestimmtes Verständnis der Beziehung von Sprache und Denken zurück. Aber diese für die modernen Wissenschaften grundlegende Frage stellt sich fernab von allen Ideologien und Nationalismen. Sie betrifft den Kern der Wissenschaften.

Der Mythos der Universalsprache Englisch

Das Projekt der modernen Wissenschaften beruht auf einem uralten, aristotelischen Verständnis von Denken als einem Prozess der Abbildung der Welt, der ohne Sprache stattfindet. Dieser Denkvorgang ist universell und bei allen Menschen gleich. Denken und Mitteilung des Gedachten sind getrennte Ereignisse, die aufeinanderfolgen. Oder wie es Coulmas ausdrückt: «Erst denken, dann sprechen.» Aber wie soll man diesen Sachverhalt denken, ohne den Satz zu lesen? Und woher weiss Coulmas, dass Denken ohne Sprache abläuft? Der griechische Begriff «logos», der als Suffix den Namen der meisten Wissenschaften schmückt, verweist gerade auf deren Untrennbarkeit. Für die Wissenschaften, vor allem für die Naturwissenschaften, sind die Wörter kommunikative Instrumente, eine Art von Rohrleitung, in der die wissenschaftlichen Resultate zirkulieren. Der sprachliche Ausdruck scheint den von ihm transportierten Inhalt in keiner Weise zu beeinflussen. Sprache hat transparent zu sein. Daraus folgt, dass es keinen spezifischen Unterschied zwischen den Sprachen gibt, aufgrund dessen eine davon privilegiert werden könnte. Und doch war die Ausbildung der europäischen Wissenschaften in der Neuzeit mit der Ablösung von der Einheitssprache Latein und dem Ausbau der Volkssprachen verknüpft. Das «Zurück zu den Sachen» war verbunden mit der Ablehnung der durch die lateinische Gelehrsamkeit vermittelten Autoritäten. Dabei wurde der Verlust des Lateins als Lingua franca teilweise wettgemacht durch eine intensive Übersetzertätigkeit sowie durch Mehrsprachigkeit der Forscher. Internationalität des wissenschaftlichen Denkens war nicht durch die blosse Existenz einer internationalen Sprache, sondern durch den intensiven Austausch zwischen den Sprachen und Kulturen Europas gewährleistet.

Heutzutage nimmt der Mythos der Universalsprache Englisch den Platz des Lateinischen ein, mit dem grossen Unterschied, dass Latein im Mittelalter und in der Renaissance eine künstliche Gelehrtensprache war. Sie ist unter anderem darum ein Mythos, weil die Linguisten seit vielen Jahren nicht mehr vom Englisch schlechthin, sondern vom «Englischen» reden. Englisch ist eine plurizentrische Sprache. Das ist ihre Stärke. Andererseits ist sie grossen zentrifugalen Kräften ausgesetzt. Die ständig wachsende Zahl von Zweit- und Fremdsprachen-Nutzern führt zu einem unkontrollierbaren Sprachwandel. Wie sieht es unter diesen Umständen mit der sprachlichen Genauigkeit des wissenschaftlichen Englisch aus? Wie viel sprachliche Nachlässigkeit kann sich die präzise, wissenschaftliche Begriffsarbeit leisten? Was geschieht mit den anderen nationalen Standardsprachen, die nicht mehr am technischen und wissenschaftlichen Fortschritt teilnehmen können? Werden sie zu Dialekten degradiert? Ist nicht das Oxford-English als erste Sprache dazu verurteilt?

Mehrsprachiges Denken ist gefordert

Der wissenschaftliche Ansatz geht dahin, dass alle Forschenden auf der ganzen Welt innerhalb eines Spezialgebiets an ganz ähnlichen Sachen mit denselben Methoden unter möglichst gleichen Bedingungen arbeiten. Die dabei verwendete Mitteilungssprache muss weltweit einheitlich sein. Mit einer einzigen Sprache sollte die Verständigung unter den Forschern einfacher werden. Der Preis für diese methodisch verschriebene, universelle Vereinheitlichung im Zeichen der wissenschaftlichen Objektivität ist jedoch hoch. Sie unterdrückt die kulturellen und sprachlichen Unterschiede der Forschenden, einen Reichtum kognitiver und emotionaler Art, der sich in der Qualität der Forschung niederschlägt. Die Begegnung verschiedener Denkweisen, die verschiedenen Sprachen entspringen, eröffnet neue Perspektiven, die es erlauben, eigene Denkweisen zu relativieren und zu überprüfen. Es geht dabei um die kritische Aneignung und die produktive Umsetzung anderer Sichtweisen ins eigene Denken und Handeln. Durch das Denken und Verstehen in verschiedenen Sprachen entsteht zudem eine Sensibilisierung auf die sprachliche Verfasstheit wissenschaftlicher Erkenntnis. Es geht letztlich um ein Verstehen des Verstehens, das prä-reflexive, sprachphilosophisch naive Konzepte von Wissen in Frage stellt.

Daher genügt Englisch als Lingua franca in den Wissenschaften nicht. Es müssen neue Formen der Begegnung verschiedener Sprachen und Kulturen geschaffen werden, sei es in den Labors oder an Tagungen. Die Mehrsprachigkeit der Forschenden und die Übersetzungen wissenschaftlicher Zeitschriften in verschiedene Sprachen sollten gefördert werden. Zudem müssen die verschiedenen Wissenschaftskulturen vermehrt miteinander in Kontakt treten. Die Öffnung etwa auf arabische und chinesische Formen von Wissen ist ein Gebot der Stunde. Öffnung meint hier nicht nur Übersetzung dieser Formen in andere Sprachen, sondern eine Begegnung, die zwischen diesen Formen und unserer Wissenschaftskultur stattfindet.

Marco Baschera ist Titularprofessor für französische, allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich. Zuletzt gab er heraus: «Mehrsprachiges Denken – Penser en langues – Thinking in languages» (Böhlau-Verlag, Köln 2009).

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